Eisbrecher – Wir sind gold, also volle Kraft voraus
Vom losgelassenen Kettenhund, unzüchtigen Engeln und einem Kapitän, der auch blasen kann
19.03.2016 [sh] Bisher füllten die Crew um und mit Eisbrecher Kapitän Alex Wesselsky zuverlässig die kleinen und größeren Clubs, auf Festivals hingegen nahmen sie tausende Begeisterte mit auf die Fahrt durchs ewige Eis. Nun gibt es etwas zu feiern. Das 2012 veröffentlichte Album „Die Hölle muss warten“ umschiffte nicht nur sämtliche Eisberge und unsichere Gewässer, sondern erklomm kürzlich den goldenen Chartgipfel. Der Dank geht an die Fans, welche dies mit Ihrer Liebe und Bandtreue ermöglicht haben. Hierfür legt der Eisbrecher in sechs deutschen Häfen an, wagt sich in die etwas größeren Hallen und hält für jeden anwesenden Fan als Dank ein goldenes Präsent bereit. Für diese Fahrt holten sie sich Verstärkung an Bord. Die Osnabrücker One I Cinema bringen die Maschinen unter Dampf, die Unzüchtigen Darkrocker servieren ein ausgewogenes Menü und der Kapitän navigiert letztendlich den Eisbrecher sicher in den eisigen Sonnenuntergang. Intensiv, exzessiv, unzüchtig, kritisch, ehrlich, wortgewandt und immer mit Stil.
Während Bandtherapeut Dr. Dirty Dietz sich des Gesundheitszustandes der Crew und der Passagiere vergewissert, checkt der Kapitän die Vollzähligkeit. Alle Mann an Bord! Leinen los, Maschinen unter Dampf und volle Kraft voraus! One I Cinema befeuern den Kessel. Energetisch und treibend bearbeiten sie die Gitarren, lassen die Haare fliegen und hauen dem geneigten Zuhörer die Metal Riffs um die Ohren. Die Stimmung steigt, die Maschinen beben und der Blick ist gen Horizont gerichtet, dort wo Himmel und Meer miteinander verschmelzen.
Nun ist es an Daniel und seinen unzüchtigen Mannen, den Anwesenden ein schmackhaftes und prickelndes Menü zu servieren. Gut gewürzt bringt bereits der Opener „Unendlich“ die Besucher auf den Geschmack. Es folgen Hits und Mitsinggaranten der vergangenen Alben. Die Stimmungsspirale wird permanent gen Himmel getrieben. Gang für Gang ist eine Verführung der Sinne. Mit dem „Kettenhund“ gibt es einen pikanten, wie auch gepfefferten Appetizer auf das kommende Album. Hart, rau und unnachgiebig. Die Mimik des Unzucht Frontmanns allerdings ist weder hart, noch unnachgiebig. Daniels charismatisches Lächeln steckt an, reißt mit und lässt Herzen schmelzen. Aber auch Drummer Toby gerbt die Felle mit einem breiten Grinsen, während Gitarrist Daniel und Bassist Alex leidenschaftlich in die Saiten greifen. Der Hauptgang wird gereicht. „Unzucht“ regt noch einmal die Geschmacksnerven an und findet mit „Engel der Vernichtung“, dem bittersüß, prickelnden Dessert, einen stimulierenden und feurigen Abschluss. Ein kulinarisches Erlebnis, welches aphrodisierend wirkt. Man spürt das innerliche Beben, die Lust auf mehr. Die kann gestillt werden, wenn im Herbst die Unzucht zurück auf die Bühne kommt.
Noch einmal meldet sich Dr. Dirty Dietz zu Wort. Die Stimmung ist einmalig, ja euphorisch. Trotzdem betreibt er Vorsorge und verteilt handsignierte Gute-Laune-Macher jeglicher Art. „Wer ist Normal hier und wer ist hier krank?“ Mit dieser Frage entert die Eisbrecher-Crew die Bühne und erhält die einhellige Antwort: Zum Glück sind wir „Verrückt.“. Getreu dem Motto heizen die Herren die Menge dekadent mit Eisbrecher-Dollars an. Hier wird halt nicht gekleckert, es wird geklotzt. Die Swiss Life Hall kocht. Keiner kann sich des treibenden Beats entziehen. Es wird geklatscht, lautstark mitgesungen und getanzt. Die Maschinen laufen unter Volldampf. Die Route führt uns durch alle Schaffensepochen der Band. Sicher navigiert Kapitän Alex den Eisbrecher durch die ruhigen Gewässer, wie auch durch die stürmische See. Dies jedoch immer mit einer Portion Selbstironie und einer Dosis Gesellschaftskritik. So läuft die Crew unter anderem „Amok“, ist seines Glückes Schmied und baut sich einen „Prototyp“, stellt fest, dass keiner fehlerfrei ist und lässt gemeinschaftlich mit „Himmel, Arsch und Zwirn“ den Kragen platzen. Regnete es gerade noch Gold auf die Fans hinab, geraten wir wenig später in einen heftigen Schneesturm. „Die Kälte zieht in alle Knochen und die Glieder werden schwer. Sie haben mir mein Herz gebrochen. Es schlägt, doch es lebt nicht mehr.“, die „Eiszeit“ beginnt. Sie hinterlässt „1000 Narben“. Aber es sind auch Wunden, die uns auszeichnen, unser Wesen formen, es prägen, beeinflussen und uns mit jeder Faser das Leben spüren lassen.
Ausgelassen wird gefeiert, keiner bemerkt, wie die Zeit verfliegt und doch haben wir viele Seemeilen bereits hinter uns gebracht. Ans Auschecken denkt noch keiner. Man will die Leichtigkeit des Abends, die allumfassende Energie und Euphorie nicht loslassen. Doch in der Ferne ist das Land in Sicht. Meile für Meile, Song für Song kommt der Hafen näher. Dort wo der Alltag uns wieder umfängt und unser „Miststück“ auf uns wartet, da wir ja weder mit, noch ohne selbiges leben können. Die Crew wird noch einmal unter tosendem Applaus und lauten Zugabe-Rufen aufs Deck geholt. Dann heißt es, Flagge hissen und „Volle Kraft voraus“ in Richtung Land und Zukunft. „Vergissmeinnicht“? Bei seinem Blastalent braucht Kapitän Alex allerdings keine Angst zu haben. Auch wenn man „This is Deutsch“ like teilweise noch unentschlossen und den falschen Parolen folgt, wenn er ins Jagdhorn bläst, ist ihm die Gefolgschaft der Fans und der Damen sicher. Denn „Ohne Dich“ können wir nicht frei sein, nicht endlos high sein. Ohne dich, sind wir allein. Ohne dich, können wir nicht fliegen, nicht endlos lieben. Ohne dich, können wir nicht sein! Mit diesem Wissen verabschieden sich Eisbrecher für heute Abend von den Fans, die ihrerseits beseelt und glücklich in die Nacht ziehen.
Ein toller Abend, ein mitreißendes Konzert, eine überraschende Show, euphorische Fans, ein Lichtmann, der seinen Job mehr als nur versteht, eine Crew, die gemeinsam durch dick und dünn geht und ein Kapitän, der meistens alles im Griff hat.